Proteste in Israel

Von Karolina Pajdak

Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten. So wird der Staat seit seiner Gründung 1948 bezeichnet. Und jetzt – 75 Jahre später sehen viele seiner Bürgerinnen und Bürger diese Demokratie in großer Gefahr. Man kann sagen – in Lebensgefahr.

Seit Beginn des Jahres demonstrieren Tausende Israelis jede Woche gegen die rechtsreligiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (73). Tausende wenden sich gegen den geplanten Umbau der Justiz, der darauf abzielt, das Oberste Gericht in seiner Kontrollfunktion über die Politik so zu schwächen, dass die Regierung künftig nahezu ungehindert handeln kann. „Save Israels Democracy“ steht auf den Schildern der Demonstranten, die sich seit Januar jeden Samstagabend in Jerusalem und Tel Aviv, aber auch in den kleineren Städten Israels treffen. Tausende demonstrieren nach Ende des Shabbat am Samstagabend vor der Knesset in Jerusalem und vor dem Supreme Court, wo sich seit Mitte September zum ersten Mal in der Geschichte Israels alle 15 Richterinnen und Richter gemeinsam beraten. Sie entscheiden über acht Petitionen gegen die verabschiedete Grundgesetzänderung und sie entscheiden am Ende, ob Israel eine Demokratie bleibt oder die Regierung Netanjahu künftig ohne Kontrolle „durchregieren darf“. Wenn das Oberste Gericht nicht mehr gegen „unangemessene Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister“ vorgehen darf, stehen Tor und Tür für Korruption und Machtmissbrauch offen, warnen die Demonstranten.

„Vergangenen Winter legte unser Justizminister den Plan vor, dass künftig eine einfache Mehrheit in der Knesset ausreiche, um eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs außer Kraft zu setzen. Dieses Gesetz würde die Arbeit des Gerichts im Wesentlichen zerstören und es zu einer Marionette der Regierungskoalition machen“, erklärt Yael (58), die jeden Samstagabend in Jerusalem demonstriert. „Jetzt hat die Regierung diese spezielle Idee vom Tisch genommen und versucht, den verbleibenden Plan in kleinen Schritten vorzulegen. Aber wie kann jemand einem Justizminister vertrauen, der ein solches Gesetz vorgeschlagen hat?“

„Wir müssen hier besonders wachsam bleiben, denn diese Regierung versucht ihre Änderungen in kleinen Schritten einzuschleusen und genauso wird die Demokratie sterben – in ganz kleinen Schritten“, warnt Gershom (77), der ebenfalls seit Januar jede Woche protestiert.

Für viele der Demonstranten hat die Gefahr vor allem ein Gesicht: das von Benjamin „Bibi“ Netanjahu, der am 29. Dezember 2022 bereits zum 6. Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.  Er bekräftigt immer wieder, die Reform schwäche Israels Justiz nicht, sondern stärke die Demokratie. „Israel wird weiterhin liberal und demokratisch sein, es wird nicht zu einem Staat des religiösen Rechts werden, und es wird die Rechte aller schützen“, versprach er bei einer TV-Ansprache. Demonstrant Gershom hat dafür nur ein müdes Lächeln übrig: „Bibi würde seine eigene Großmutter verkaufen, damit er im Amt bleiben kann.“

Auch Oppositionsführer Yair Lapid (59) sieht in der Reform das Ende des Rechtsstaates. „Diese Regierung hat jede Hemmung verloren“, warnt er.

Möglicherweise könnte es Monate dauern, bis die Richterinnen und Richter in Jerusalem zu einer Entscheidung kommen und dann – da sind sich die Demonstranten sehr sicher – wird nicht das Ende der Proteste gekommen sein, sondern möglicherweise der Höhepunkt. Ihre Angst: Das, was passiert, sollte die Regierung den Beschluss des Obersten Gerichts missachten …


Bild: Omer Toledano, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

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